Die hausärztliche Versorgungslage im Landkreis Harburg ist trotz aller erfolgreichen Bemühungen und Initiativen von „stadtlandpraxis“ Hausärztinnen und Hausärzte für die Niederlassung bzw. Arbeitsaufnahme im Landkreis zu gewinnen weiterhin unzureichend.
Aus diesem Grund hat die Gruppe GRÜNE/LINKE folgenden Antrag gestellt:
Der Kreistag möge beschließen:
Der Landkreis Harburg verstärkt seine Bemühungen zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung mit dem Ziel, dass alle Einwohnerinnen und Einwohner des Landkreises unabhängig von ihrem Versichertenstatus Zugang zu einer möglichst wohnortnahen hausärztlichen Versorgung haben. Hierzu wird die Kreisverwaltung gebeten
- ein Strategiekonzept zur Sicherung und Verbesserung der hausärztlichen Versorgung zu entwickeln,
- das erfolgreiche Projekt „stadtlandpraxis“ zur Gewinnung von Haus- und Fachärzten weiterzuführen und ggf. auf Grundlage des Strategiekonzepts Aufgaben für die Verbesserung der standortbezogenen Rahmenbedingungen zu übernehmen
und - die Gründung von ergänzenden hausärztlichen MVZ (medizinischen Versorgungszentren) in unterschiedlicher Trägerschaft sowie die mögliche Rolle der kommunalen Krankenhäuser dabei zu prüfen.
Begründung
Die hausärztliche Versorgungslage im Landkreis Harburg ist trotz aller erfolgreichen Bemühungen und Initiativen von „stadtlandpraxis“ Hausärztinnen und Hausärzte für die Niederlassung bzw. Arbeitsaufnahme im Landkreis zu gewinnen weiterhin unzureichend. Insbesondere Kassenpatientinnen und-patienten beklagen nicht nur bei Fachärzten, sondern auch bei Hausärzten z.T. sehr lange Wartezeiten. Schließt eine Praxis werden die Patientinnen und Patienten bei der Hausarztsuche abgewiesen und stehen zunehmend ohne hausärztliche Versorgung da. Nicht selten weichen sie dann auf die Notaufnahmen in den Krankenhäusern aus, die dann Fälle behandeln müssen, die keine Notfälle sind.
Diese Problemlage bei der hausärztlichen Versorgung wird auch durch Erhebungen belegt, die die KVN (Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen) kontinuierlich vornimmt. Nach der Bedarfsplanung der KVN für Niedersachen lag der Versorgungsgrad in der hausärztlichen Versorgung in den drei Planungsbereichen im Kreisgebiet (Buchholz, Harburg-Nord und Winsen) z.T. weit unter 100%. Demzufolge bestehen in Buchholz 12,5, in Harburg-Nord (Seevetal) 2,5 und in Winsen 8 weitere Zulassungsmöglichkeiten für Hausarztsitze. Eine Hausarztpraxen können aus unterschiedlichen Gründen nicht mit der vollen Kapazität ausgelastet werden. So berichtete die Kreisrätin Frau Bröcking in einer Medieninformation vom 1.7.2025, dass neben den aktuell 155 Hausarztstellen im Landkreis 22,5 weitere eingerichtet werden könnten. Sie wies auch darauf hin, dass ein großer Teil der niedergelassenen Hausärztinnen und Hausärzte im Landkreis älter als 50 Jahre ist und damit in absehbarer Zeit in den Ruhestand geht. Die KVN stellte in einer alarmierenden Pressemitteilung am 25.07.2025 ergänzend zu den Versorgungslücken dar, dass die alternde Bevölkerung und die steigenden Gesundheitsansprüche der Bürgerinnen und Bürger darüber hinaus zu einer erhöhten Nachfrage nach medizinischer Versorgung, besonders auf dem Land führten. Nach der Arztzahlprognose 2035 der KVN wird in Niedersachsen bis zum Jahr 2035 die Anzahl der Hausärztinnen und Hausärzte auf rund 3.750 von jetzt 5.218 sinken (-28%).
Es ist fraglich, ob genügend Nachfolger bereitstehen, um in eine Praxis einzusteigen oder eine neue zu gründen. Entsprechende Berichte bestätigen diese Tendenz. Häufig ziehen junge Ärztinnen und Ärzte eine Anstellung mit festen Arbeitszeiten bzw. Teilzeit einer Selbständigkeit aus nachvollziehbaren Gründen vor. Laut KVN werden bereits heute 1,6 Nachfolger für einen Arztsitz benötigt. Der Frauenanteil unter den Hausärzten steigt von 47,7 Prozent (2023) auf 52 Prozent (2035), wodurch die Teilzeitquote weiter steigen wird.
Diesen Trend können Imagekampagnen sowie Fördermaßnahmen bei der Nachfolge und Praxisgründung zwar dämpfen, aber nach bisheriger Erfahrung leider nicht umkehren. Hieraus wird ein stark zunehmender Standortwettbewerb mit anderen Landkreisen und der Stadt Hamburg resultieren.
Vor diesem Hintergrund ist eine Verschärfung der Mangellage der hausärztlichen Versorgung in alle drei Planungsbereichen des Landkreises zu erwarten. Die KVN geht für 2035 in den ländlichen Regionen von einem Versorgungsgrad unter 75% aus.
Gilt diese Einschätzung bereits unter den jetzigen Planungsvorgaben (Arzt pro Einwohnerzahl), so gilt sie erst recht, wenn das Primärarztprinzip eingeführt wird, wie es die jetzige Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat. Nach dem Primärarzt-Prinzip fungieren die Hausärzte als Gatekeeper zur fachärztlichen Versorgung. Bei unveränderten Versorgungsprozessen wird die Anzahl der erforderlichen Hausarzt-Patientinnen- und Patientenkontakte deutlich zunehmen. Damit alle Patientinnen und Patienten in vertretbarer Zeit einen Termin beim Hausarzt bekommen, wären mehr Hausarztsitze zu planen, bei gleichzeitig weniger verfügbaren Hausärzten in der klassischen Hausarztpraxis.
Unter den oben skizzierten Rahmenbedingungen ist nicht zu erwarten, dass die KVN ihren gesetzlichen Versorgungsauftrag zukünftig wahrnehmen kann. Der Ausschuss Gesundheit, Integration und Soziales sowie der Kreistag haben sich in den letzten Jahren mehrfach mit der Thematik befasst. Die Kreisverwaltung hat im Oktober 2022 eine Infoveranstaltung zu Medizinischen Versorgungszentren und Möglichkeiten einer kommunalen Trägerschaft durchgeführt, ohne weitere Maßnahmen zu ergreifen. Die sog. Innovationsgruppe, die 2023 anstatt einer Gesundheitsregion gegründet wurde, konnte bisher keine konkreten Impulse für eine Verbesserung der hausärztlichen Versorgung hervorbringen. Um den Herausforderungen einer drohenden Unterversorgung zumindest ansatzweise begegnen zu können, bedarf es vielmehr eines strategischen Konzeptes des Landkreises, das nicht nur die Nachbesetzung freier Hausarztsitze im Blick hat, sondern bestehende Strukturen stärkt und neue, ergänzende Strukturen fördert und aufbaut, damit mit den verfügbaren Hausärztinnen und Hausärzten eine wohnortnahe, hausärztliche Versorgung flächendeckend im Kreis sichergestellt wird. Dieses sollte nachfolgende Fragen beantworten:
- Wie entwickelt sich der zukünftige hausärztliche Versorgungsbedarf und das Versorgungsangebots in der in den einzelnen Gemeinden des Landkreises
- Wo sind die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen aus Sicht der einzelnen Hausärzte im Landkreis? Welche Lösungsansätze gibt es hierfür?
- Wie könnten die bestehenden Hausarztpraxen mehr Patientinnen und Patienten betreuen?
- Was sind fördernde und hemmende Faktoren für eine Kapazitätsausweitung durch die bestehenden Hausarztpraxen aus Sicht der Akteure im Landkreis
- Wo besteht aus Sicht der Hausärzte Verbesserungsbedarf relevante Standortfaktoren und wie müssten diese ausgestaltet werden?
- Wie kann sich der Kreis stärker als innovationsfreudiger Standort für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung qualifizieren?
- Wie kann die Versorgung interprofessionell gestaltet und Delegationsmodelle kreativ von möglichst vielen Hausärzten genutzt werden?
- Welche digitalen Lösungen und Angebote können einen Betrag zur hausärztlichen Versorgung leisten?
- Wie könnten regionale hausärztliche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) die (drohende) Unterversorgung reduzieren
- Welche Träger- und Organisationsmodelle haben welche Vor- und Nachteile
- Wie könnte das Gesundheitsamt zusammen mit den Krankenkassen durch Vermittlung von Gesundheitskompetenz z.B. die eigene Einschätzung des Behandlungsbedarfs und dessen Dringlichkeit die regionale Gesundheitsversorgung unterstützen und dadurch die Hausarztpraxen entlasten?
- Welche notwendigen Strukturen sollte der Landkreis und die Städte und Gemeinden schaffen?
Der doppelte demographische Wandel bedingt, dass immer weniger Mitarbeitende in den Gesundheitsberufen immer mehr Patienten betreuen müssen. Dafür müssen alle Akteure gemeinsam die notwendigen Voraussetzungen schaffen.